Lass es Liebe sein

Hast du nur noch einen Tag, noch eine Nacht, dann lass es Liebe sein…

Wenn ich mir vorstelle, wie es war an diesem letzten Abend, als Jesus mit seinen Freunden zum letzten Mal gegessen, getrunken, gefeiert hatte, dann passt dieses Lied zu der Stimmung. Der Text aus dem Johannesevangelium, den wir gerade gehört haben, stammt aus den Abschiedsreden Jesu.  Er weiß, was nun kommt. Er hat versucht, das seinen Freundinnen und Freunden zu erklären, hat ihnen die Füße gewaschen und das Brot gebrochen. Er redet lange zu ihnen im Johannesevangelium, dort im Abendmahlssaal. Und doch ist das, was er zu sagen hat, in diesem Augenblick, wo er noch einen Tag, noch eine Nacht Zeit hat, im Grund nur eins:  Liebe.

Das ist mein Gebot,

dass ihr einander liebt,

so wie ich euch geliebt habe.

Das ist das Wichtigste für Jesus, das Bedeutsamste, und offensichtlich auch das, was er den Jüngern ziemlich vehement eintrichtern muss – denn dass es ausgerechnet die Liebe ist, die ihr Handeln bestimmen soll, ist wahrlich nicht immer so klar in ihren so menschlich-abgründigen Versuchen der Nachfolge. Gerade die Fußwaschung, die den Abschiedsreden vorausgeht, lässt erahnen, wie mühsam es für Jesus gewesen sein muss, ein anderes, neues Miteinander zu etablieren, eines, das nicht auf Macht und Herrschaft beruht, sondern auf Liebe und Füreinander Dasein. 

Liebe ist alles, alles was wir brauchen.

Lasst es Liebe sein! Das könnte er uns zurufen, damals, und heute immer noch. Lasst es Liebe sein, die Euer Handeln bestimmt. Lasst es Liebe sein, die Euch leitet.

Wenn Liebe die Kategorie ist, nach der Entscheidungen getroffen werden, dann ist Liebe die Macht, hat Liebe die Macht. Dann ist die Liebe mächtig, und nicht die Macht. 

Wenn ich mich umsehe in Kirche und Gesellschaft und ehrlicherweise auch in meinem eigenen kleinen Leben, dann können wir Menschen scheinbar nicht anders, wir müssen uns sortieren nach oben und unten, nach befugt und unbefugt, berufen und nicht berufen, weil es uns nicht gelingt, miteinander, nebeneinander, auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Ich glaube, die Perspektive Jesu war immer Liebe.

Und wenn ich MACHT ersetze mit LIEBE, verändert sich alles.

Vielleicht ist dann nicht mehr wichtig, wer die Macht hat, eine Sache zu entscheiden  – sondern wem diese Frage am meisten am Herzen liegt. Nicht der Mächtigste, sondern die Leidenschaftlichste… Nicht die mit Autorität, sondern der mit Herzblut…

Unter diese Botschaft der Liebe als Maßstab hat die Auferstehung nochmal einen Stempel drunter gesetzt: Das, was war, gilt weiterhin – Jesus lebt, er ist auferstanden, nicht der Tod hat die Macht, sondern das Leben, die Liebe.

Das ist immer wieder vergessen worden – in der Apostelgeschichte, die die Zeit nach der Himmelfahrt Jesu erzählt, wird auch immer wieder vom Machtgerangel der Jünger erzählt, von Stellungskämpfen, vom Streit um die Führung. Und in der Kirche, die in dieser Zeit ihren Ursprung hat, ist es auch viel zu oft um Macht gegangen, geht es bis heute um Macht. Gerade da, wo Jesus hineingesprochen hat „Bei Euch aber soll es nicht so sein“ – gerade da wird taktiert statt direkt kommuniziert, da wird Macht gewaltvoll angewendet statt in gemeinsamer Verantwortung gehandelt.

Lasst es Liebe sein!

Nicht immer gelingt das, dass die Liebe die Macht hat.

Damals nicht, und heute nicht.

Aber ein bisschen davon schimmert immer wieder durch – davon hören wir gleich in der Apostelgeschichte.

Mit Jesu Vermächtnis im Herzen begegnet Petrus der wachsenden Kirche – und trifft Entscheidungen, die die Liebe Gottes widerspiegeln, die größer ist als alle Gesetze, als alle Traditionen, größer als das Gewohnte. Und dann wird ganz viel möglich: Kommunikation, Miteinander, Gemeinschaft von Juden und Heiden, von denen, die schon länger dabei waren und denen, die neu dazukommen.

Lass es Liebe sein

Das ist alles was wir brauchen

Noch viel mehr als große Worte

Lass das alles hinter dir

Fang nochmal von vorne an

Denn

Liebe ist alles

Vielleicht hatte er das im Hinterkopf, der Petrus, als er in dieser Situation war: Liebe. Wer mit den Augen der Liebe sieht, sieht nicht auf die Unterschiede, nicht auf das Trennende, hört nicht auf „du musst“, du sollst“, „man darf“, „das tut man nicht.“ Und so ist er auf den Spuren Jesu unterwegs, der sich selbst immer wieder hinweggesetzt hat über die geltenden Regeln zu standesgemäßem Umgang mit anderen – er war zu Gast bei Zöllnern und Sündern, sprach mit Frauen, heilte am Sabbat… Sein Kriterium war die Liebe.

Dies trage ich euch auf,

dass ihr einander liebt.

Das hat Petrus verstanden. Und er predigt den Heiden, isst mit den Ungläubigen, tauft den Römer Kornelius und die vielen, über die der heilige Geist gekommen ist.

Und damit ist der Weg frei für eine Kirche, die wachsen kann, die sich entwickelt, die den Menschen sieht. So wie Petrus den Kornelius sieht und wahrnimmt, dass der Heilige Geist tatsächlich über alle kommt und keine Ausnahmen macht, so kann Kirche, können alle, die sich zugehörig fühlen, zugehörig sind, einander und allen anderen auf Augenhöhe begegnen.

Manchmal wird das vergessen. Auf allen Ebenen.

Vergessen, dass es möglich ist, dass Kirche sich verändert, auf sich verändernde Gegebenheiten eingeht und mit ihnen umgeht, alte Regeln zugunsten der Liebe über Bord wirft. Mit Römern essen? Nicht-Juden taufen? Undenkbar war das. Bis es dann doch geschah. Weil es geht. Weil das Kriterium die Liebe ist. Wann wurde vergessen, dass die Liebe schwerer wiegt als die Tradition? Als man festlegte, dass nur Männer eine Gemeinde leiten können und dem Gottesdienst vorstehen dürfen? Als man festlegte, dass zwei, deren Lebensentwurf in die Brüche gegangen ist, fortan auch nicht mehr würdig sind, die Sakramente zu empfangen? Als man festlegte, dass nicht sein kann, was nicht sein darf und Männer keine Männer und Frauen keine Frauen lieben dürfen mit Gottes Segen?

Hast Du nur ein Wort zu sagen,

nur einen Gedanken, dann

lass es Liebe sein.

Deshalb bleibt vielleicht dieser Ohrwurm als Erinnerung, als Mahnung, wenn es nochmal darum geht, wer was darf, wer über wen entscheidet, wer sich wie anzupassen hat, wer wen ausschließen kann, welcher Macht wir uns unterwerfen. Ein Ohrwurm für jede Situation, in der ich mich frage, wie ich jemandem begegnen soll:

Liebe ist alles. Alles was wir brauchen.

Predigt zum #kfd-Predigerinnentag 2024

Bild: Canva

Textauszüge aus „Liebe ist alles“ – Rosenstolz