kfd-Predigerinnentag

Wir begrüßen Sie zum heutigen Gottesdienst, den wir von der Katholischen Frauengemeinschaft im Rahmen des 4. Bundesweiten Predigerinnentages gestaltet haben.

Rund um den Tag der Apostelin Junia, der am 14. Mai begangen wird, predigen zum vierten Mal kfd-Frauen in ganz Deutschland. Die Auslegung des Evangeliums sollte nicht allein Männern überlassen sein. Auch Frauen sollten ihre Berufung leben und in Jesu Nachfolge predigen dürfen – dies ist ein großes Ziel der kfd.

Berufung – davon haben wir gerade gesungen.

Davon, dass Berufung ein sehr persönliches Geschehen ist zwischen Gott und einem Menschen.

Here I am!

Hier bin ich!

Berufung ist etwas Persönliches.

Here i am – hier bin ich, Gott.

Da geht es um mich, um mich ganz persönlich, ganz konkret, unverwechselbar und einmalig.

Gott ruft mich.

Und Dich.

Er ruft nicht mal eben so eine ganze Gruppe.

In der Bibel gibt es ganz viele Berufungsgeschichten, und alle drehen sich um persönliche Berufungen, um einzelne Menschen, Männer und Frauen, die je für sich antworten und eine ganz eigene, individuelle Geschichte mit Gott haben, ihren ganz eigenen Weg gehen.

Genauso wie jede und jeder einzelne heute hier. Deshalb haben Sie Ihren Namen aufgeschrieben beim Reinkommen. Den Namen, mit dem Gott ruft. Dich. Mich. In eine Menge hineingerufen, würde ich mich wohl kaum angesprochen fühlen. Gott ruft mich persönlich. Genau wie Sie, wie Dich.

Und doch muss ich mich so oft ganz unpersönlich mitgemeint fühlen, wenn ich Gottes Ruf folge, wenn ich zum Beispiel in die Kirche gehe. Dann muss ich mich gemeint und angesprochen fühlen, wenn es heißt „die Gläubigen“, „das Volk Gottes“ „Schwestern und Brüder“. Ehrlich, merkt man bei so einem Oberbegriff überhaupt, ob ich da bin oder nicht?  

Mitgemeint. Besonders bekannt ist dieses Gefühl den Frauen unter uns. „Schwestern und Brüder“ heißt es nämlich noch gar nicht so lange in den offiziellen Texten. Früher stand da „Brüder“. Weil Paulus „adelphoi“ schreibt. Mehrzahl von Bruder, aber auch Geschwister. Ist so ne Sache mit dem generischen Maskulinum. Jetzt können Sie denken, naja, natürlich gehören die Frauen dazu, und deshalb heißt es inzwischen auch „Schwestern  und Brüder“ –aber dass Frauen schon lange und immer noch nur mitgemeint sind, wird heute in der Lesung aus der Apostelgeschichte deutlich. Wenn es wahr ist, dass Gott jeden und jede einzelne von uns beim Namen kennt – dann müssten bei der Lesung einige ins Stolpern kommen.

Lesung

aus der Apostelgeschichte (Apg 1, 12-14)

Als Jesus in den Himmel aufgenommen worden war,

kehrten die Apostel von dem Berg, der Ölberg genannt wird

und nur einen Sabbatweg von Jerusalem entfernt ist,

nach Jerusalem zurück.

Als sie in die Stadt kamen,

gingen sie in das Obergemach hinauf,

wo sie nun ständig blieben:

Petrus und Johannes,

Jakobus und Andreas,

Philíppus und Thomas,

Bartholomäus und Matthäus,

Jakobus, der Sohn des Alphäus,

und Simon, der Zelót,

sowie Judas, der Sohn des Jakobus.

Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet,

zusammen mit den Frauen

und Maria, der Mutter Jesu,

und seinen Brüdern.

Und? Sind Sie gestolpert? Hat Ihnen was gefehlt? War Ihnen was zuviel? Oder gelingt es Ihnen, biblische – und liturgische – Sprache einfach so „hinzunehmen“, ohne sich daran zu stören?

Ich kann das nicht mehr gut. So ungestört mitgehen. Ohne zu stolpern. Das macht es schwerer, zuzuhören. Ich gebe zu, es macht es schwerer, überhaupt hier zu sein. Denn ganz oft fühle ich mich so, wie heute in der Lesung.

Da sind so viele Namen. So viele Geschichten, die gleich mitklingen, wenn ich sie höre:

Petrus – so viele Erzählungen sind überliefert, in denen er eine Rolle spielt. Ich denke an den Fischer, der mit seinem Bruder Andreas für Jesus seine Netze zurücklässt, ich denke an den etwas großmäuligen Typ, der aus dem Boot aussteigt, übers Wasser läuft und dann doch untergeht, ich denke an den Feigling, der Jesus verleugnet in der Nacht der Verhaftung. Jakobus und Johannes – die Donnerbrüder mit ihrer ehrgeizigen Mutter, die sich um die Rangfolge streiten, die aber auch bei der Verklärung Jesu dabei sein und Hütten bauen wollen, weil sie nicht fassen können, was da geschieht, die einschlafen, als Jesus so verzweifelt am Ölberg betet. Andreas – da denk ich auch an einen Fischer, aber interessanterweise auch an das Andreaskreuz, an dem er der Überlieferung nach gestorben ist – und Achtung, das ist noch nichtmal biblisch, und trotzdem kenne ich diese Geschichte.

All diese Namen höre ich und noch mehr, und bei allen klingelt was. Alle elf verbleibenden Apostel – ohne Judas Iskariot – werden namentlich aufgezählt.

Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet,

zusammen mit den Frauen

und Maria, der Mutter Jesu,

und seinen Brüdern.

Zack, wieder ein Bild im Kopf – Maria, Mutter Jesu, auch ganz viele Geschichten und Bilder werden wach, seine Brüder – kurzes Fragezeichen, aber stimmt, die kamen auch schonmal vor, und irgendwie haben wir ja dann immer gesagt bekommen, dass „Brüder“ damals auch Cousins etc. waren… Moment. Da war doch noch was. Noch nicht mal ein halber Satz, da war noch was dazwischengepackt zwischen den elf Namen und Maria, der Mutter Jesu. Fast überhört. Warum eigentlich?

Zusammen mit den Frauen. – Aha.

Da waren also nicht nur elf Männer und ein paar Brüder und Maria. Da waren noch „die Frauen“. Und während ich mir das nochmal auf der Zunge zergehen lasse, verändert sich das Bild in meinem Kopf. Da war bis gerade so eine Art Konferenztisch. Ziemlich männerlastig, ok, mit Maria. Aber jetzt, jetzt ist da noch eine unbekannte Größe dabei. Und der Raum wird zu klein. Denn „die Frauen“ sind da. Einmütig im Gebet. „Die Frauen“. Das waren sicher gar nicht so wenige. Denn wenn es wenige wären, hätte Mann – mit zwei nn!, Lukas hat das geschrieben – sie entweder geflissentlich unterschlagen, oder eben noch zwei, drei Namen aufgezählt (so wie bei den Frauen, die Jesus am Ostermorgen salben wollten, die haben auch Namen, weil es eine übersichtliche Gruppe war – bei den verschiedenen Evangelisten Maria von Magdala, die andere Maria bzw. Maria, die Mutter des Jakobus und Salome, manchmal ist auch noch Johanna dabei – jedenfalls haben sie alle Namen, d.h. sie sind bekannt.) Hier sind es nur „die Frauen“ – und das heißt, es sind mehr als diese drei bekannten. Es sind mehr. Vielleicht sind es sogar mehr Frauen als Männer. Frauen sind da! Einmütig im Gebet versammelt übrigens. Nicht „da waren die elf wichtigen Männer und Jesu Mutter und die Frauen, die da herumwuselten und die Männer bedienten“. Nein. Männer und Frauen einmütig im Gebet.

Es dauert, bis sich dieses Bild bei mir festsetzen kann. Zu fest ist das Bild von 12 Männern verankert, die immer rund um Jesus sind. Ich habe noch eine Erinnerung an mein eigenes Kommunionkreuz, auch damals schon dieses schwere Bronzeteil, und da sitzen 12 Männer am Tisch mit Jesus. Anders konnte ich mir das lange nicht vorstellen. Aber auch dieses Bild hat sich für mich geändert. Weil Frauen da waren. Sie werden nur nicht hingeschrieben. Aus Gründen. Denn Lukas war kein Feminist, genausowenig  wie die anderen Evangelisten. Sie hatten alle kein ausdrückliches Interesse daran, Frauen zu stärken. Da, wo die Frauen trotzdem vorkommen, werden sie wohl kaum zu ignorieren gewesen sein. So wie Maria von Magdala, die bei allen vorkommt, einfach weil ihre Rolle zu wichtig war, um sie komplett unter den Tisch fallen zu lassen. Dass von Frauen hier die Rede ist, muss Realität abbilden.  Frauen waren da. Und besonders in diesem Abschnitt der Apostelgeschichte ist das wichtig. Denn ein Kapitel später geht es wieder um alle am gleichen Ort  – und da kommt der Heilige Geist. Auch davon war lange Zeit ein anderes Bild in meinem Kopf. Der kam doch zu den Aposteln, oder? Das sind doch Männer! Männer seh ich vor mir mit der Feuerzunge auf dem Kopf, Männer höre ich in allen Sprachen reden.  Aber nein, „alle“ waren da. Die vielen aufgezählten Männer, Maria, und die Frauen!

So, wie sich diese Bilder verändert haben, hat sich für mich auch die Vorstellung von „den Jüngern“ geändert. Und das ist ein wichtiger Begriff, über den ich immer wieder stolpere, und dieses Stolpern macht es mir so oft schwer, wie ich am Anfang gesagt hatte. Die Jünger und die Apostel. Zack. Männergruppe. Mit Jesus als Anführer. Weil wir das so sagen. Weil wir das so kennen. Jünger. Apostel. Und Sprache schafft Wirklichkeit. Und Bilder im Kopf. Aber so war das nicht. Denn da waren Frauen. Wie gesagt, das war nicht unbedingt der Schwerpunkt der Erzählabsicht der Evangelisten. Aber sie konnten sie nicht ignorieren. Da waren Frauen, und sogar bekannte. Maria von Magdala wie gesagt. Und Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, die aufgezählt wird unter denen, die Jesus nachfolgen (Lukas 8,3). Dass die Ehefrau eines Königsbeamten ihren Haushalt einfach stehen und liegen lässt und einem Wanderprediger folgt, war auch damals nicht üblich. Und Johanna wird ihm nicht gefolgt sein, ohne dazu gerufen worden zu sein, zu groß wäre dieser Affront gegenüber ihrer gesellschaftlichen Position. Jesus wird sie ausdrücklich angesprochen haben – aber über ihre Berufungsgeschichte wird leider nichts überliefert, dabei würde sie mich genau so interessieren wie die Netze-Boote-See-Geschichte von Simon und Andreas. Schade. Die Männer, die die kanonischen Evangelien schrieben, hat sie wohl nicht interessiert…

Aber diese Leerstellen müssen wir füllen. Damit das Bild im Kopf gerade gerückt wird. Nein, Jesus hat sich nicht nur mit Männern umgeben. Nein, die frühe Kirche war nicht so männlich, wie sie bis heute dargestellt wird. Für Paulus – und auch der war wahrhaftig kein Feminist – waren die Frauen da, sie kommen immer wieder vor in den Grußlisten zu Beginn und am Ende seiner Briefe. Da lernt man viel über Urgemeinde. Priska und Aquila werden gleichrangig als Paar genannt und als engste Mitarbeiter des Paulus. Phoebe ist Diakonin – und Junia Apostelin. Wenn Paulus das schreibt – dem nun wirklich nicht vorzuwerfen ist, dass er sich der Sache der Frauen verschrieben hätte – dann kann davon ausgegangen werden, dass er selbst zumindest nicht darüber stolperte. Junia wird von ihm selbstverständlich als Apostelin bezeichnet und die frühe Kirche stört das überhaupt nicht. In den Ausführungen der Kirchenvätern – auch alle keine Feministen und Rebellen – wird Junia akzeptiert und als Apostelin rezipiert. Erst im Mittelalter wird aus Junia ein Junias – weil nicht sein kann, was nicht sein darf, denn eine weibliche Apostelin würde am Ende ja Tür und Tor öffnen für Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche, oh nein! Erst in den 70er Jahren wurde Junia als Apostelin hinter dem Junias „wiederentdeckt“ und steht nun auch wieder offiziell in der neuen Einheitsübersetzung von 2016 (und damit auch in den liturgischen Texten) im Römerbrief: „Grüßt Andronikus und Junia, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.“ (Röm 16,7) Und hier offenbart sich wieder die Crux des Mitgemeinseins: Paulus wird wohl bei der Mehrzahl des Apostelbegriffs „unter den Aposteln“ automatisch auch die gerade von ihm hoch gepriesene Frau Junia gesehen haben. Aber ohne seine Erfahrung, ohne die Lebenswirklichkeit des Paulus der ausdrücklich Apostelinnen kennt und mit ihnen umgeht, verschwindet sie trotz Nennung ihre Namens in dem Bild, das wir heute haben, wenn es um die Gruppe der Apostel, Mehrzahl, geht: Männer. Und deshalb stolpere ich. Mitgemeint reicht nicht. Mitgemeint ist zu wenig. Mitgemeint macht unsichtbar.  Und ja, deshalb wünsch ich mir, dass Frauen öfter sichtbar gemacht werden, sich selber sichtbar machen. Sich nennen. Denn sie sind wichtig. Nicht nur rund um den Junia-Tag. Es ist ja nicht nur Junia, es ist auch Maria von Magdala, die als Apostelin der Apostel bezeichnet wird,  Johanna, Susanna, Lydia, Priska und viele namenlose Frauen, die Jüngerinnen waren, aber in den Bildern männlichen Gruppen in unserem Kopf nicht vorkommen. Aus Brüdern konnte nach langer Gewöhnungsphase „Schwestern und Brüder“ werden. Wann wird aus „den Aposteln“ die Apostelinnen und Apostel? Aus den Jüngern die Jüngerinnen und Jünger? Sprache schafft Wirklichkeit. Eigentlich müssten wir in der Kirche, wo wir mit Sakramenten umgehen, wo Wort und Handlung eins werden, doch viel sensibler mit Sprache sein. Warum muss ich über meine Unsichtbarkeit stolpern, weil es anderen zu anstrengend ist, beide Geschlechter beim Sprechen und Vorlesen zu nennen? Ist mein Stolpern unwichtiger als das der Verfechter – und Verfechterinnen – der deutschen Sprache?

Mitgemeint – bei Gott bin ich das nicht. Gott meint mich persönlich. In der Taufe  – und lange davor – bin ich bei meinem Namen gerufen. Auch wenn die liturgische Sprache auch bei so individuellen Anlässen oft unpersönlich erscheint, ist das, was gemeint ist, die Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus, unverwechselbar, einzigartig und persönlich. Deshalb heißt es in der Taufliturgie, dass ich mit dem heiligen Chrisam gesalbt bin, damit ich „für immer ein Glied Christi bleibe, der Priester, König und Prophet ist in Ewigkeit.“ Auch das ist eine Stolperstelle für mich. Denn wenn ich gemeint bin, passt das nicht: Priester, Prophet, König, wie Christus. Wenn ich gemeint bin, dann bin ich Priesterin, Prophetin, Königin. So wie die Hälfte der Menschen hier. Mehr als die Hälfte, wenn ich realistisch schätze. Und diese Hälfte muss sich immer mitgemeint fühlen in der liturgischen Sprache. Ich lade nun die andere Hälfte ein, sich mal mitgemeint zu fühlen. Fühlt sich vielleicht ein bisschen ungewohnt an. Sie haben da nicht so viel Übung drin. Aber Sie schaffen das.

Du bist gerufen.

Du bist gemeint.

Du bist gekannt.

Du bist beim Namen gerufen.

Du.

Genau Du.

Du bist Königin, Priesterin, Prophetin.

Du bist würdig.

Du bist wertvoll.

Du bist besonders.

Du bist Gottes geliebtes Kind.

Du bist Gottes geliebte Tochter.

So viele Menschen haben viel zu oft gehört:

„Eigenlob stinkt!“

„Nimm dich nicht so wichtig!“

„Bild Dir bloß nichts ein!“

Doch.

Ich bin würdig.

Ich bin wichtig.

Ich bin Königin.

Und ich darf aufrecht stehen.

Weil ich so gemeint bin.

Das stinkt nicht, das ist kein Eigenlob.

Das ist das Lob Gottes,

der Schöpferkraft,

die mich so wunderbar gemacht hat.

Die mich so gemeint hat, wie ich bin.

Gott sagt:

Du bist sehr gut.

Nicht so lala.

Nicht naja.

Nicht geht so.

Gott sagt:

Es ist sehr gut.

Du bist sehr gut!

Deshalb: Krönchen richten! Du bist würdig!

Und mit diesem Gefühl, dieser Zusage,

diesem geschenkten Selbstbewusstsein aufrecht durchs Leben gehen.

Du bist Königin.

Gottesdienst zum kf-Predigerinnentag am Sonntag, 21. Mai 2023 in St. Hippolytus, Troisdorf